Viele Verbraucher:innen erhalten derzeit Post von ihrem Energieversorger, insbesondere von der E.ON Energie Deutschland GmbH: Es geht um hohe Nachforderungen für Zeiträume, die längst abgerechnet waren. Oft ist der Anlass die nachträgliche Korrektur angeblich fehlerhafter Verbrauchswerte. In manchen Fällen geht es um Forderungen für Stromlieferungen aus Jahren, die bis zu zehn Jahre zurückliegen.
Wir halten diese Praxis für rechtlich zweifelhaft und aus Verbrauchersicht für unzumutbar. Denn in den meisten Fällen wurde bereits abgerechnet, aber ohne jede Prüfung automatisiert geschätzte oder falsche Werte übernommen. Wenn ein Unternehmen wie E.ON solche Rechnungen erstellt, ohne zu kontrollieren, ob die Werte plausibel sind, darf es sich nicht darauf berufen, dass die Verjährung noch nicht begonnen habe. Es liegt ein Abrechnungsfehler vor und für diesen trägt allein der Versorger die Verantwortung.
Gemäß § 40 Abs. 1 EnWG ist E.ON verpflichtet, einfache, nachvollziehbare und transparente Abrechnungen zu erstellen. Die Abrechnung muss so gestaltet sein, dass auch juristische Laien sie verstehen können. Dies erfordert insbesondere:
Abrechnungen, die auf jahrelang geschätzten und nie überprüften Zahlen basieren, erfüllen diese gesetzlichen Anforderungen nicht. Die Pflicht, nachvollziehbar abzurechnen, bedeutet auch, dass die Daten korrekt, überprüfbar und plausibel sein müssen. Fehlerhafte oder überhöhte Abrechnungen, die mit realitätsfernen Zahlen operieren, sind rechtlich nicht haltbar.
Besonders gravierend ist: E.ON suggeriert in vielen Fällen selbst die Plausibilität der Abrechnung. In den Rechnungen wird der aktuelle Verbrauch dem Vorjahresverbrauch gegenübergestellt, um "Normabweichungen" anzuzeigen. Wenn dann über Jahre geschätzt wurde, ist diese Darstellung irreführend. Sie begründet bei Verbraucher:innen ein Vertrauen, das im Nachhinein gebrochen wird.
Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV genügt es bereits, wenn der Kunde Tatsachen vorträgt, die die "ernsthafte Möglichkeit" eines offensichtlichen Fehlers erkennen lassen. Dieser rechtliche Maßstab wurde vom BGH in seinem Urteil vom 07.02.2018 (VIII ZR 148/17) bestätigt: Kund:innen dürfen die Zahlung verweigern, wenn Anzeichen für eine fehlerhafte Abrechnung bestehen. Es genügt ein begründeter Verdacht, um die Forderung zu stoppen.
Darüber hinaus regelt § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StromGVV, dass ein Zahlungsaufschub verlangt werden kann, wenn der Verbrauch ohne erkennbaren Grund mehr als doppelt so hoch ist wie im Vorjahr. Genau das erleben viele Betroffene: Die angeblich "vergessenen" Kilowattstunden führen zu einem sprunghaften Anstieg des Verbrauchs, der nicht erklärbar ist.
Die Gerichte bestätigen diese Verbrauchersicht: Das OLG Schleswig (9 U 100/20) hat klargestellt, dass ein plausibler Verdacht auf einen Fehler ausreicht, um die Zahlung zu verweigern. Und der BGH hat in VIII ZR 148/17 deutlich gemacht, dass das Versorgungsunternehmen die volle Darlegungs- und Beweislast für den behaupteten Verbrauch trägt. Allein die Berufung auf den Prüfschein einer staatlichen Stelle genügt nicht.
Fazit: E.ON darf sich nicht darauf berufen, erst jetzt Kenntnis von einem alten Fehler zu haben, wenn die eigenen Abrechnungssysteme über Jahre hinweg automatisiert, ungeprüft und auf Basis geschätzter Werte gearbeitet haben. Wer jahrelang falsche Werte verwendet, handelt grob fahrlässig. Und grob fahrlässige Unkenntnis schließt die Anwendung der zehnjährigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 4 BGB aus. In diesen Fällen gilt die Regelverjährung von drei Jahren.
Wenn Sie betroffen sind, übernehmen wir für Sie die juristische Prüfung und vertreten Sie gegen die Forderung. Wir kämpfen nicht politisch, sondern rechtlich fundiert für Ihre Interessen als Mandant:in. Melden Sie sich gerne bei uns, wenn Sie Post von E.ON erhalten haben und die Nachforderung nicht nachvollziehen können.
